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Analyse des Rechtsextremismus in Dortmunder Stadtbezirken – Kurzzusammenfassung

Donnerstag, 3. Dezember 2009

1. Rechtsextremismus als Problem in der Stadtgesellschaft

Immer wieder werden Vorurteile und feindselige Mentalitäten in der Bevölkerung nachgewiesen. Gleichzeitig existiert in zahlreichen Gemeinden und Städten, teilweise auch in einzelnen Wohngebieten, große Beunruhigung über Aktivitäten demokratiefeindlicher Parteien und Vereinigungen. Politische Anstrengungen solcher Gruppierungen, z.T. in neuen „unauffälligen“ Formen, können sich mit den Einstellungen in der Bevölkerung verbinden und in den Sozialräumen eine „neue“ feindselige Normalität schaffen.

Wenn man nun diesen gesellschaftlichen Zustand aus Normalisierung und gleichzeitig vorhandenem Problembewusstsein betrachtet, wird deutlich, dass es nicht mehr reicht, dass sich jene, die sich für das Gemeinwesen bzw. das Wohnumfeld verantwortlich fühlen, die Initiative gegen rechtsextreme Akteure und organisierte Parteien ergreifen, sondern dann rückt die Frage nach dem Zustand des eigenen Gemeinwesens in den Mittelpunkt und damit letztlich die Frage: „Wie wollen wir in unserer Stadt, in unserer Gemeinde leben?“ Diese Frage ist deswegen zentral,

weil feindselige Mentalitäten in der Bevölkerung von Gemeinden, Städten und Stadtteilen auch als Legitimationsgrundlage für rechte Parteien, Vereinigungen etc. zur politischen Instrumentalisierung und weiteren Verbreitung Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, der Diskriminierung bestimmter Gruppen und von Gewalt genutzt werden.

Daran knüpfen rechtsextremistische Strömungen und Gruppen verschiedener Art an, verstärken solche Einstellungsmuster und stellen damit unabhängig von Wahlerfolgen ein die Demokratie gefährdendes Potential dar. Hier wird deutlich, dass Rechtsextremismus nicht nur über Demonstrationen und Verbote bekämpft werden kann, sondern über die Einbindung und Aktivierung der Bevölkerung.

Ziel des Modellprojekts ist es, in Zusammenarbeit von Wissenschaft, Akteuren vor Ort und Politik gegen solche Prozesse und Zustände zu aktivieren. Die zentrale Frage dabei ist: Wie kann unter den beschriebenen Bedingungen „produktive Unruhe“ erzeugt werden? Vor diesem Hintergrund ist es bedeutsam, genauere Kenntnis über die Entstehung und das Ausmaß menschenfeindlicher Einstellungen sowie der (defizitären) Engagementbereitschaft gegen rechtsextreme Aktivitäten im „eigenen“ lokalen Raum zu erlangen. Der lokale Zusammenhang ist dabei deswegen von besonderer Bedeutung, weil dieser den Handlungsrahmen der meisten Menschen bestimmt. Daraus ergibt sich der Zuschnitt des Modellprojekts mit der gezielten Fokussierung auf die unterschiedlichen Bedingungen im lokalen Raum hinsichtlich:

  • der Situation der Menschen;
  • der Einstellungsmuster zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit als Legitimationsfundus für rechtsextreme Aktivitäten;
  • des Verhältnisses zum demokratischen System und zur politischen Kultur
  • vor Ort;
  • des Potenzials für Engagement gegen Rechtsextremismus im eigenen Sozialraum.

Der neue Ansatz des Modellprojekts zielt darauf ab, wissenschaftlich-empirische Ergebnisse für die jeweiligen Akteursgruppen vor Ort bereitzustellen, um ausgehend von den je lokalspezifischen Besonderheiten eine gezielte Veränderung des Zusammenlebens vor Ort zu erreichen, also über die vor Ort existierenden Institutionen (Vereine, Schulen, lokale Politik etc. ) insbesondere das soziale Klima und die politische Kultur zu verbessern. Zentral ist also die Frage: Wie sehen die Mentalitätsbestände in unserer Stadt, in unserer Gemeinde, in unserer Dorfgemeinschaft aus?

2. Konzept und Methode der Studie

Die Analysen, die im Rahmen einer Beratung zum Lokalen Aktionsplan der Stadt Dortmund durchgeführt wurden, haben das Ziel, umfangreiche Informationen für Handlungsstrategien bereit zu stellen. Die Analysen und Vorschläge sollen dabei die Entwicklung eines umfassenden städtischen Handlungskonzeptes für Vielfalt, Demokratie und Toleranz unterstützen und befördern.

Die empirischen Ergebnisse basieren dabei auf drei verschiedenen Untersuchungseinheiten, die mit je unterschiedlichen Untersuchungsansätzen einen Einblick in die lokalen rechtsextremen Strukturen, in menschenfeindliche Mentalitätsbestände sowie zum Netzwerk gegen Rechtsextremismus liefern.

Untersuchungseinheit 1 widmet sich Erscheinungsformen von Rechtsextremismus in Dortmund. Basierend auf Informationen, die über qualitative Verfahren (Dokumentenanalyse, Interviews) sowie Beobachtung erfasst wurden, analysiert diese Untersuchungseinheit die organisierte bzw. subkulturelle rechtsextreme Szene in Dortmund und ihre Aktivitäten sowie lokale Schwerpunkte und greift dabei auf die Einschätzung verschiedener relevanter Akteure zurück.

Untersuchungseinheit 2 dokumentiert die Erkenntnisse, die sich aus einer für zwei Dortmunder Stadtbezirke repräsentativen Bevölkerungsbefragung zur Qualität des Zusammenlebens vor Ort ableiten lassen. Die Schwerpunkte dieser Lokalanalysen liegen erstens in der Erfassung von demokratiegefährdendem Einstellungspotential sowie dem in der Bevölkerung vorhandenen Engagementpotential, das gegen Rechtsextremismus mobilisiert werden kann. Hierzu wurden im Zeitraum von Februar bis Mai 2009 in den beiden Stadtbezirken Innenstadt-West und Eving jeweils 250 Bewohner telefonisch befragt. Auf dieser Datenbasis lassen sich für die beiden Stadtbezirke Faktoren identifizieren, die einerseits das Ausmaß an abwertenden Einstellungen beeinflussen und andererseits die Bereitschaft sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren beeinflussen.

Untersuchungseinheit 3 schließlich stellt die Ergebnisse vor, die speziell die Engagementstrukturen in Dortmund fokussiert. Mit den Methoden der Netzwerkanalyse werden die in Dortmund vorhandenen Netzwerke im kommunalen Zusammenhang sichtbar gemacht und analysiert, wobei im Hinblick auf die Förderung von Demokratie und Vielfalt in Dortmund insbesondere vor dem Hintergrund der in den beiden anderen Teilstudien identifizierten Erkenntnisse ein Zugewinn an Zielgerichtetheit der Aktivitäten vorhandener Akteure, Institutionen und Verbände erreicht werden soll.

Die Kombination der verwendeten Methoden und die Varianz im forschungspraktischen Vorgehen soll dabei nicht nur die Betrachtung, Analyse und Bewertung von Zuständen in Dortmund aus der Perspektive von Akteursgruppen im Bereich Rechtsextremismus (nämlich die Rechtsextremen selber, die Gegenakteure sowie die lokale Bevölkerung) ermöglichen. Es sollen weitere Voraussetzungen erarbeitet werden, um ein lokalspezifisches Handlungs- und Interventionskonzept zu entwickeln, das über die bloße Addition vorherrschender Partialinteressen hinausgeht und das über die Bereitstellung lokal relevanter Informationen eine deutliche Stärkung der Akteure im lokalen Raum anstrebt.

3. Ausgewählte Ergebnisse

Untersuchungseinheit 1: Erscheinungsformen des Rechtsextremismus in Dortmund

Der Dortmunder Rechtsextremismus ist in Bewegung. Es gibt ein breites Band verschiedener, zum Teil konkurrierender rechtsextremer Strukturen. Dazu gehören parteiförmige wie auch netzwerkartige Strukturen, die zu ergänzen sind um jugendkulturelle Anbindung. Von besonderer Relevanz sind die relativ neuen Strömungen der Autonomen Nationalisten. Sie sind in der Lage, junge Menschen zu mobilisieren und darüber politisch zu sozialisieren. Sie schaffen Strukturen im Sinne ihrer Raumorientierung und bedienen sich moderner Medien zur Verbreitung ihrer Propaganda. Ihnen gelingen auch Brückenschläge zu rechtsextrem orientierten Jugendkulturen und Submilieus.

Dabei werden sie vor allem ideell durch die Kameradschaft und die örtliche Musikszene unterstützt. Hier deutet sich ein Generationswandel an. An die Stelle der bekannten Anführer treten jüngere Kräfte, die ihre Ideologie zeitgemäßer zu verbreiten wissen und neuen jugendlichen Anklang finden.

Bezüglich ihrer Bedeutung wurden die rechtsextremen Parteien (DVU, NPD) von den netzwerkartigen Strukturen abgelöst. Entgegen früherer Situationen ist dabei nicht die Kameradschaft Dortmund die treibende Kraft. Sie wurde abgelöst von den loseren Strukturen der Autonomen Nationalisten.

Untersuchungseinheit 2: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Engagementbereitschaft gegen Rechtsextremismus

Feindselige Mentalitäten, die als Anknüpfungspunkt für rechtsextremistische Strömungen und Gruppierungen dienen können, sind in den beiden untersuchten Stadtbezirken Innenstadt-West und Eving sehr unterschiedlich ausgeprägt. Im Hinblick auf alle Syndromelemente der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit äußern die Befragten in Eving ein größere Ausmaß an abwertenden Einstellungen. So äußern beispielsweise in Eving 39,6% fremdenfeindliche Einstellungen, während dies in Innenstadt-West auf 17% zutrifft. Im Folgenden werden weitere zentrale Ergebnisse der Untersuchungseinheit 2 kurz dargestellt. Im Fokus stehen dabei Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sowie die Bereitschaft sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren. Es zeigt sich für die beiden Stadtbezirke folgendes Bild:

Für Eving gilt:

  • Das Ausmaß an Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist umso größer, je stärker eine Bedrohung durch Ausländer wahrgenommen wird.
  • Das Ausmaß an Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist umso größer, je stärker mehr Härte gegen Unruhestifter und höhere Strafen bei Verbrechen eingefordert werden.
  • Das Ausmaß an Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist umso größer, je größer die individuelle Orientierungslosigkeit ist.
  • Das Ausmaß an Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist umso größer, je eher die NPD als eine Partei wie jede andere auch wahrgenommen wird.
  • Im Hinblick auf die Engagementbereitschaft gegen Rechtsextremismus zeigen sich weniger eindeutige Einflussfaktoren: Die Bereitschaft sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren fällt tendenziell geringer aus, wenn lokalpolitisches Engagement als sinnlos erachtet wird bzw. je stärker die Befragten der Ansicht sind, im Vergleich mit anderen in Deutschland nicht ihren gerechten Anteil zu erhalten.
  • Ganz allgemein sind in Eving 42,7 % der aktuell Nicht-Engagierten bereit sich zukünftig für eine bestimmte Sache zu engagieren.
  • 64,3% der Evinger erklären sich bereit sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren.

Für Innenstadt-West gilt:

  • Das Ausmaß an Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist umso größer, je homogener der Freundeskreis ist (wenn dieser sich vor allem aus Personen aus demselben Wohnumfeld zusammensetzt).
  • Das Ausmaß an Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist umso größer, je stärker die Auffassung vertreten wird, dass die NPD Lösungen für die Probleme vor Ort anbiete.
  • Die Bereitschaft sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren fällt in Innenstadt-West umso größer aus, je wichtiger den Befragten aus Innenstadt-West eine politische Einflussnahme vor Ort ist.
  • Ganz allgemein sind in Innenstadt-West 57,4% der aktuell Nicht-Engagierten bereit sich zukünftig für eine bestimmte Sache zu engagieren.
  • 75,7% aus Innenstadt-West erklären sich bereit sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren.

Generell, also für beide Stadtbezirke, gilt:

  • In beiden Stadtbezirken werden als aktuelle Probleme die gegenwärtige Arbeitslosigkeit und die mangelnde Unterstützung durch die lokale Politik benannt.
  • Je politisch machtloser sich die Befragten fühlen, desto geringer ist die Bereitschaft sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren.

Untersuchungseinheit 3:

Die Analysen zeigen, dass es den Koordinatoren in Dortmund gelungen ist ein dichtes Netzwerk gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus auf- und auszubauen. Zum untersuchten Kernnetzwerk gehören unterschiedliche, für die Thematik des Aktionsplans wichtige Gruppen und Institutionen.

Die zentralen Ergebnisse der Netzwerkanalysen zeigen:

  • Die Akteure sind bereits sehr gut miteinander vernetzt, so dass ein zuverlässiger Informationsfluss zum Themenbereich des Aktionsplans auf jeden Fall gewährleistet ist.
  • Bei den Vergleichen mit dem Idealnetzwerk, das in einem Workshop mit den Koordinatoren erarbeitet wurde, zeigt sich aber auch, dass etliche direkte Beziehungen zwischen den Akteuren noch fehlen. Nun kann auf einen Teil dieser Beziehungen durchaus verzichtet werden, da Informationen auch über eine dritte Person weitergegeben werden können.
  • In einigen Fällen wäre eine direkte Vernetzung aber wünschenswert oder sogar erforderlich. Wünschenswert erscheint auch ein weiterer Ausbau der starken Beziehungen zwischen Akteuren.
  • Vergleicht man das Netzwerk zur Kooperationsbereitschaft mit dem im Workshop erarbeiteten Idealnetzwerk, dann gibt es nur relativ wenige fehlende Beziehungen.
  • Damit eine Kooperation tatsächlich zustande kommt, müssen jedoch beide Partner hierzu bereit sein. Vergleicht man das Netzwerk der wechselseitigen Kooperationsbereitschaft mit dem Idealnetzwerk, dann zeigen sich an einigen Stellen durchaus noch Optimierungsmöglichkeiten.
  • Die Ergebnisse zu den allgemeinen Merkmalen des Netzwerks zeigen, dass es wünschenswert wäre, mehr jüngere Menschen, mehr Frauen und mehr Haupt- und Realschulabsolventen in den Kernbereich des Netzwerkes zu integrieren. Zwar ist davon auszugehen, dass solche Akteure in den weiteren Vernetzungsstrukturen vertreten sind, sie sollten aber auch bei der generellen Ausrichtung der Arbeit zum Dortmunder Aktionsplan Einfluss ausüben können.
  • Wichtig ist auch eine langfristige Orientierung, da erfolgreiche Vernetzungsarbeit Zeit braucht, weil zunächst Vertrauen aufgebaut werden muss. Wir schätzen, dass für den Aufbau einer tragfähigen Vertrauensbasis mindestens zwei Jahre erforderlich sind.
  • Als sehr positiv ist das moderierende und integrierende Vorgehen der Koordinatoren hervorzuheben, das auch in einzelnen Kommentaren der Netzwerkerhebung gewürdigt wird

Die Detailergebnisse, mit Ansatzpunkten für die Weiterentwicklung des Netzwerkes, finden sich in dem ausführlichen Ergebnisbericht. Wenn man die Erkenntnis ernst nimmt, dass Rechtsextremismus ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, dann muss es darum gehen, möglichst alle demokratischen Kräfte für eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit dem Problem zu bündeln. Die Integration unterschiedlicher demokratischer Kräfte ist aber nur möglich, wenn der gemeinsame Rahmen breit genug ist und die Mitarbeit nicht an zu viele Voraussetzungen geknüpft wird. Die Koordinatoren des Dortmunder Aktionsplans verfolgen genau diese Strategie und konnten damit entscheidend zu einer erfolgreichen Vernetzung beitragen. Wie das dadurch verfügbare soziale Kapital zur Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen und Projekten für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus beiträgt, ist jedoch nicht mehr Gegenstand dieser Untersuchung.


Quelle: Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld

Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer

Dipl.-Pol. Dierk Borstel

Dipl.-Sozw. Andreas Grau

Dipl.-Soz. Sandra Legge

Dipl.-Soz. Julia Marth